Diagnostik von Beckenbodenschäden nach Entbindung
Das Erste, was man sich vermutlich fragt, ist: Was habe ich? Wie schlimm ist es? Was kann man dagegen tun, gibt es Operationen oder Therapien?
Dabei ist die erste Frage mitunter die wichtigste. An eine korrekte Diagnose zu kommen, ist allerdings äußerst schwierig: Zunächst einmal muss man einen passenden Arzt finden, was sich als Laie gar nicht so einfach gestaltet. Es gibt Urologen, Neuro-Urologen, Gynäkologen, Uro-Gynäkologen, Proktologen und Gastroenterologen. Wie soll man da als Laie durchsehen, wenn man den Schaden selbst noch gar nicht richtig zuordnen kann? Dann muss einem besagter Arzt auch noch glauben. Und das fällt den meisten Medizinern recht schwer: wie soll man etwas ernstnehmen, was man nicht sehen kann?
Der übliche Ablauf zur DIagnostik ist dabei folgender:
- Termin bei der Gynäkologin oder dem Hausarzt machen, Beschwerden vortragen
- Gyn oder Hausarzt erfasst den Schaden und stellt eine Überweisung zum Facharzt aus
- Termin beim Facharzt und weitere Diagnostik und Behandlung
Hierbei hakt es allerdings in unserem System: Oft haben auch die Gynäkologen und auch Hausärzte keine Ahnung was man haben könnte und an wen sie überweisen sollten. Selbst, wenn man es dann bis zum Urogynäkologen oder ins Beckenbodenzentrum geschafft hat, kennen sich die wenigsten Urogynäkologen mit dem muskulären Beckenboden aus und achten nur auf Senkungen. Selbst diese werden nur im Liegen untersucht, obwohl aus dem Begriff „Senkungen“ schon deutlich hervorgeht, dass die Schwerkraft eine immense Rolle spielt und verstärkt.
Aus eigener Unwissenheit wird gerade bei körperlichen Problemen nach Geburt die Symptome abgetan, es wird vertröstet und relativiert. Im Englischen wird dieses Abtun auch Medical gaslighting genannt, ein passender Begriff wie ich finde. Hier mal ein Auszug, was ich im letztem Jahr so gehört habe:
- „Das ist normal“
- „Das gibt sich mit der Rückbildung“
- „Die Blase ist nur etwas beleidigt, das gibt sich wieder.“
- „Der Nerv ist beleidigt.“
- „Da kann sich noch ganz viel tun.“
- „Nach dem Abstillen wird alles fester“
- „Das haben viele“
- „So schlimm sieht es nicht aus“
- „Also ich sehe da nichts“
- „Das ist bestimmt nur der Stress.“
- „Vielleicht ist es nur die Psyche.“
- „Sie merken das nur, weil Sie sich zu sehr darauf fokussieren.“
Natürlich gibt es die Rückbildung und natürlich festigt sich das Gewebe nach dem Abstillen und der Normalisierung der Hormonlage. Aber wenn Beschwerden bestehen, muss das ernstgenommen und dem nachgegangen werden. Wenn also aufgrund eines Nervenschadens von der Geburt eine Blasenlähmung besteht, sollte es auch so deklariert werden. Wenn man aufgrund eines Schließmuskelrisses Stuhlinkontinenz besteht (bspw. bei einem Dammriss 4.Grades), so sollte das untersucht und man darüber aufgeklärt werden. Ansonsten geht wertvolle Zeit für eine Reparatur verloren! Dieses Prozedere gibt es auch nur in der Geburtshilfe- stellt euch mal vor: man kommt mit einem Kreuzbandriss zum Unfallchirurgen und bekommt gesagt: „Das haben viele, sieht doch gut aus.“ Unvorstellbar, nicht? Leider ist es aber traurige Realität, dass jede Meniskus-Verletzung und jeder Bruch vom kleinen Finger ernster genommen wird, als Frauen mit Geburtsschäden.
Beckenbodenmuskel-Abrisse sind auch Muskel-Abrisse. Sie heilen nicht auf magische Weise entgegen der Schwerkraft wieder an. Verletzte Nerven können sich zwar von selbst erholen, es sollte aber nicht allzu lange auf Selbstheilung gewartet werden. Und auch eine Blase ist nicht „beleidigt“, sondern geschädigt (Oder habt ihr schon mal eine freudige oder traurige Blase gehabt?). Die Patienten sind erwachsene Menschen mit Beschwerden, sollten ernstgenommen und sprachlich nicht zu Kindern degradiert werden. Zum Glück ist das nicht überall der Fall: es gibt doch wenige Ärzte und Beckenboden-Zentren, die sich gut in ihrem Fachgebiet auskennen und mit einer sinnvollen Diagnostik und sogar Therapie helfen können. Und diese gilt es zu finden.
Um allen Betroffenen die Suche nach der Nadel im Heuhaufen und das jahrelange Herumirren bis zur richtigen Diagnose zu ersparen, habe ich das Backtolife-Projekt ins Leben gerufen:
- Jeder sollte sich unabhängig von der medizinischen Vorbildung INFORMIEREN können, um die Schäden besser verstehen und einordnen zu können
- Eine VERNETZUNG von Betroffenen und der Austausch von Erfahrungen hilft bei der Arztwahl und ebnet den Weg zu richtigen Diagnose
- Was dir hilft, kann auch anderen HELFEN: Tipps für die Erleichterung des Alltags
Ich habe die Hoffnung, dass diese private Initiative dazu beiträgt, dass Menschen mit solchen Schäden weniger Irrfahrt und mehr Heimkehr erleben können.
Habt ihr schon einmal Ähnliches erlebt? Schreibt mir gerne einen Kommentar 🙂